Was sagen die Kinder dazu?

Jugendliche von schwulen Vätern berichten

Wir trafen uns vom 7.12.-9.12.2007 im Waldschlösschen, nahe Göttingen.

Das Thema des Wochenend-Seminars war “Mein Papa ist schwul”.
Nun möchten wir mit allen Jugendlichen homosexueller Väter unsere Gedanken zu diesem Thema teilen.

Hier könnt ihr unsere Erfahrungsberichte lesen.

David, 19 Jahre 

Hallo, ich bin David. 

Ich erfuhr von der Homosexualität auf dem Polterabend meine Cousine Sabrina. Es war Schock und Gewissheit zu gleich. Aber nun alles der Reihe nach.

An diesem Abend haben alle schön gefeiert und nebenbei konnte ich viele neue Leute kennenlernen. Marcus, ein Schulfreund von Sabrina, kannte ich schon länger und ich wusste das er schwul ist. An diesem Abend brachte er seinen Freund mit. Wir haben uns gut verstanden und viel geredet. Irgendwann im Laufe des Abends merkte ich, dass Marcus und mein Papa weg waren, und dann zusammen redend wieder unter das Partyzelt kamen.

Nach einiger Zeit kam Marcus zu mir und sagte er müsste mit mir reden. Ich bin mit ihm etwas abseits auf die Wiese gegangen und er fing an zu reden. Er fragte mich ob ich mitbekommen habe, dass mein Papa und er sich unterhalten haben.

Ich sagte ohne groß nachzudenken: „Ja!“ Er meinte dann: „Ich rede jetzt auch nicht groß drum herum. Dein Papa hat mich gebeten dir was zu sagen! Und das ist…!“ Marcus stockte kurz und dann sagte er weiter: „…dein Papa ist schwul!“

Und ich sagte kurz darauf ein bekanntes Sprichwort: „Ein bisschen BI schadet nie!“

Zu dem Zeitpunkt war es mir gleich ob mein Papa homosexuell, hetero oder bisexuell ist. Ich war guter Laune und meinte dann zu Marcus, dass es trotzdem mein Papa bleibt. Wir sind dann zurück in das Zelt und haben weiter gefeiert. So viel zu dem Abend, der um Juli 2004 stattfand.

Nach diesem Abend hatte sich dann aber doch einiges geändert. Ich habe mich von meinen Papa etwas abgekapselt, denn ich lebe mit meinen Papa alleine zusammen. Ich habe ihn nicht mehr umarmt. Es gab keinerlei Körperkontakt mehr. Ich habe ihm nicht einmal mehr meine Hand gegeben. Ich habe mit meinen Papa nur noch das Nötigste geredet und wir haben uns dann auch auseinander gelebt.

So habe ich dann nach ca. einem Jahr mit Markus um Rat gebeten, dass er mal bitte mit meinem Papa und mir ein klärendes Gespräch führen könne. Das war alles kein Ding. Nach ein Woche kam es zu dem Gespräch. Ich hatte viele Fragen an meinem Papa. Er erklärte mir ruhig, jedoch leicht angespannt, an dem Abend wie es zu seiner Homosexualität kam und wie das ist, dieses „Schwulsein“. Ab diesem Abend kann ich mit meinen Papa wieder normal reden und bin froh darüber, dass er es mir gesagt hat.

Und ich kann auch nur jedem sagen, auch wenn euer Papa schwul ist, verstoßt ihn nicht, denn er hat es in der Öffentlichkeit schwer genug.

Mit der Zeit kenne ich einige schwule Männer aus dem Umfeld meinen Papas, und kann auch ganz normal mit denen über meinen Papa und andere Dinge reden, denn SIE SIND NORMALE MENSCHEN WIE ICH UND DU!! Sie haben lediglich eine andere Sexualität als ich, denn ich bin heterosexuell.

Euer David

Mini, 16 Jahre

Ich weiss gar nicht, wie ich anfangen soll. 

Also, ich bin Mini. Mein Papa ist nicht schwul, sondern bi. Das heißt er liebt Frauen und Männer. Meine Eltern sind nicht getrennt. Sie lernten sich sogar in einer Schwulengruppe kennen. Meine Mutter wusste also schon, worauf sie sich vor der Ehe „einlässt“. Für beide war vor der Hochzeit klar, dass sie eine offene Beziehung führen. Also wenn mein Vater eine Affäre mit einem Mann möchte, dann kann er sie ruhig führen, die einzige Bedingung ist, dass meine Mutter weiß wann er seinen Partner besucht. Dieses Recht hat auch meine Mutter. So gesehen wird auch keiner betrogen. Trotzdem könnte ich diese Art von Beziehung für mein späteres Leben nicht vorstellen.

Ich weiß leider nicht mehr genau wann ich es erfahren habe, 12 Jahre war ich ungefähr. Ich hatte einen Traum zu diesem Thema, den erzählte ich meinem Vater und am Abend wollte er mit mir reden, alleine. Dann erklärte er mir, dass alle Menschen unterschiedliche Geschmäcker und Vorlieben haben und dass das auch die Sexualität betrifft. Ich wusste was er meinte, konnte mir aber gar nicht vorstellen, was er mir eigentlich sagen wollte. Schließlich schloss er damit, dass er mir mitteilte: „Ich bin bi. Ich liebe Männer und Frauen.“ Ich sagte erstmal: „Okay“. Da ich damit erstmal nichts anfangen und es mir auch gar nicht vorstellen konnte. Mein Papa war mein Papa und nicht einer von denen die Männer lieben (vorallem, weil ich mir diese Art von Männern immer anders vorgestellt habe und auch noch nie so in Berührung mit ihnen kam). Das war für mich unvorstellbar. Erstaunlicher Weise war ich im Nachhinein nicht einmal sonderlich überrascht, sicherlich hatte ich ein Ahnung im Unterbewusstsein, das würde dann auch meinen Traum erklären.

Jetzt fast 5 Jahre danach ist es für mich wirklich „okay“. Ich finde es immer noch sehr komisch, wenn ich sehe, dass mein Vater einen Mann auf den Mund küsst und oft drehe ich mich um und schaue in eine andere Richtung.

Deshalb glaube ich, dass ich damit leichter hätte umgehen können, wenn ich von Anfang an gewusst hätte, dass mein Papa bi ist, dann wäre ich in die Situation hineingewachsen und es wäre für mich normal geworden.

Abschließend kann ich sagen, dass meinen Papa liebe, egal wen er liebt und ich weiß, dass ich es akzeptieren muss und dass es so ist wie es ist, etwas anderes bleibt mir gar nicht übrig, denn niemand kann sich seine Sexualität aussuchen.

Ich hoffe, dass ich euch helfen konnte.

Emely, 15 Jahre

Alles begann an einem Sommertag.

Ich war mit meiner Mutter und meinem Vater im Schwimmbad, alles war toll. Bis abends meine Eltern mit mir reden wollten. Ich ahnte damals nicht, dass dieses Gespräch mein Leben verändern wird.

Mein Papa ergriff das Wort und erklärte mir, dass alles vor 10 Monaten angefangen hatte. Er hatte mit meiner Mom einen Streit und sie wussten, dass sie es an diesem Abend nicht mehr klären konnten. Meine Mutter fragte, ob es eine andere Frau gäbe. Er antwortete mit nein. Dann fragte sie, ob er schwul sei, und er konnte es nicht beantworten.Heute weiß er es: Er ist schwul und das bedeutet, dass sie sich trennen werden.

Im ersten Moment war ich total fertig. Meine Eltern ? Sich trennen ? Das kann nicht sein.Und wie ? Schwul ? Ich dachte mein Papa liebt meine Mama und jetzt plötzlich ein Mann ? Beide versuchten mir zu sagen, dass ich keinen der beiden verlieren werde, dass sie mich lieb hatten, aber ich hörte sie schon gar nicht mehr. Ich konnte nur denken: Wie kann es jetzt weitergehen ? Wie und was soll ich meinen Freundinnen sagen ?

Ich konnte meinem Papa eine ganze Zeit lang nicht in die Augen sehen. Ich weiß nicht warum, aber irgend etwas blockierte mich.Ich habe damals nicht gewusst, wie ich mich verhalten soll und was ich sagen soll. Ich musste nur mit jemandem reden. Am nächsten Tag habe ich es meiner besten Freundin erzählt. Die erste Reaktion war: Na, da kann ich dir jetzt gute Tipps geben. Ich weiß, wie es ist, zwischen den Fronten zu stehen. (Ihre Eltern hatten sich auch getrennt.) Das Schwulsein meines Vaters hat sie im ersten Moment gar nicht interessiert. Wir reden selten darüber, aber sie hat auch kein Problem damit.

Kurze Zeit später sagte es mein Dad dem Rest der Familie. Natürlich waren alle geschockt. Die Eltern meines Vaters konnten es am Anfang gar nicht verstehen. Wie kann er seine Frau und sein Kind „alleine“ lassen ? Sie machten sich Sorgen um mich, nur wirklich gefragt, wie es mir denn eigentlich geht, haben sie auch nie…

Als mein Vater zwei Monate danach auszog, blieb ich bei meiner Mutter wohnen. Sie war in dieser Zeit am Ende. Sie versuchte, für mich da zu sein und mit mir darüber zu reden. Ob ich es verstand, wie mir dabei ging usw. Doch solange sie ihren Schmerz nicht selbst verarbeitet hatte, tat der Versuch, immer für mich da zu sein, mir auch nicht gut. Wir stritten immer öfter. Ich verschloss mich ihr gegenüber immer mehr. An den 2 Tagen in der Woche, an denen ich zu meinem Dad ging, ging es mir dagegen recht gut. Ich verstand es nicht: Meine Mutter konnte nichts für die Trennung, aber mit ihr stritt ich mich und bei ihr fühlte ich mich nicht mehr wohl. Mit meinem Vater dagegen hatte ich ein gutes Verhältnis. Wir stritten sehr selten. Dann kam dazu, dass meine Mom mir viel erzählte, was mein Vater angeblich falsch macht. Ich stand zwischen den Fronten und wollte das gar nicht… Meine Mutter entschied sich deshalb wieder, in unsere alte Heimat, wo wir vorher 10 Jahre gelebt hatten, zu ziehen. Dort hatte sie ihren Job, ihre Freunde und nur dort fühlte sie sich wohl. Ich respektierte das, zeigte es ihr jedoch nie wirklich. Ich musste mich zwischen alter und neuer Heimat entscheiden, zwischen Mutter und Vater. Ich weiß nicht, wie lange ich mich mit dieser Entscheidung herumgeschlagen habe. Dazu kamen auch die ständigen Streits mit meiner Mom. Eigentlich war mir klar, dass ich bei meinem Vater leben wollte, nur ich hatte Angst, es meiner Mutter zu sagen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, wollte sie nicht auch noch im Stich lassen. Aber ich wusste: bei meinem Vater würde es mir besser gehen.

Ihr tat meine Entscheidung natürlich sehr weh. Sie glaubte sehr lange, dass ich ihr es übel nehme, dass sie wegzog. Ich konnte immer nur beteuern, dass das nicht stimmt, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Doch das hat sie mir nie wirklich geglaubt.

Ich bin dann alle 14 Tage am Wochenende zu ihr gefahren. Doch selbst an diesen 2 Tagen haben sich die Streitereien nur wiederholt. Bis wir einem Punkt waren, an dem wir wirklich nicht mehr weiterkamen. In der Zwischenzeit lernte mein Vater einen Mann kennen und lieben. Er wohnt weit weg, sodass sie sich nur am Wochenende sehen können. Mit meiner Mutter hatte ich eine Zeit lang Funkstille, bis wir uns beide wieder aufgerafft hatten und ein klärendes Gespräch geführt haben. Ich denke das hat viel verändert.Unser Verhältnis ist zwar noch schwierig, aber es hat sich entspannt.

Nun bin ich in einem halben Jahr mit der Schule fertig und muss wieder eine Entscheidung treffen:

Mein Dad sucht nach einem Job bei seinem Freund, d.h. er wird dort hinziehen. Entweder ich gehe mit ihm in eine fremde Stadt oder ich ziehe zu meiner Mutter. Wieder muss ich mich zwischen meinen Eltern entscheiden. Entscheiden, wo ich glücklicher wäre.

Emelys Vater

 

Aus meinem „schwulen Tagebuch“

Es war in der Woche vor dem 22.September 2004. Meine Frau und ich hatten Streit. Wegen irgendwas, keine Ahnung mehr, um was es ging. Es war an diesem Abend nicht zu klären. Wir gingen ins Bett. Licht aus. Plötzlich fragte sie mich, ob ich eine andere Frau hätte. Ich verneinte. Dann die Frage, die ALLES verändert hat: „Bist du schwul?“ Ich konnte erst gar nichts sagen. Pause.

Dann: „Ich weiß es nicht“. Ich konnte nicht nein sagen. Dann Tränen über Tränen. Tränen, die ich nicht weinen konnte. Schon jahrelang nicht mehr.

Plötzlich ist es raus. Ungeplant. Ungewollt. Ich bin selbst überrascht!

Ein Gedanke, ein Gefühl, vergraben in der Tiefe meines Unterbewusstseins. Jahrelang. Mit 37 Jahren kommt es hervor.

In der Pubertät hatte ich zwar mal Kontakte mit Jungs, was ich aber als pubertäre Spielchen abtat. Hatte ich mich selbst nicht ernst genommen?

Wir hatten eine schöne Ehe. Die ersten Jahre voller Glück trotz fehlendem Geld und aller äußerlicher Widrigkeiten. Dann der schönste Moment in meinem Leben: die Geburt meiner Tochter. Ich liebe sie über alles.

Die Ehe wird Routine, mit Höhen und Tiefen – wie in jeder Ehe. Bis zu diesem Moment. Alles wird anders. Das Thema „Schwul – sein“ ist da und lässt sich nicht mehr ins Unterbewusstsein vergraben. Nächtelang reden wir miteinander, suchen nach Lösungen, verstehen uns, streiten uns.

Und obwohl ich noch nie Sex mit einem anderen Mann hatte, weiß ich, dass ich schwul bin, „mindestens bisexuell“ versuche ich zu relativieren.

Dann war ich zum ersten Mal im Waldschlösschen, machte die Bekanntschaft von so vielen schwulen Vätern und machte die Erfahrung, ich bin nicht allein.

Es gab noch einige verzweifelte Versuche unsere Ehe, die Familie zu retten: Umzug in ein Haus, Beratung und Therapie einzeln und gemeinsam, bis nichts mehr ging. Ich musste nicht mehr entscheiden, nur noch aussprechen: ich ziehe aus. Fange neu an. Gebe mir selbst und letztlich auch meiner Frau noch einmal eine Chance. Doch bevor man dies als Chance begreift verliert man erst einmal ALLES. Ist am Ende.

Diese Zeit im Umbruch bis zum Auszug war die schwerste Zeit meines Lebens. Und ich und meine Frau zerbrachen uns den Kopf, wie und ob wir unserer Tochter etwas sagen sollten. Etwas sagen von unseren Problemen mit denen wir selbst nicht klar kamen. Sie war 12 Jahre. Nicht mehr Kind, nicht erwachsen. Aber das spielt -glaube ich- keine Rolle. Wir haben es ihr nicht gesagt, denn wir wussten ja selbst nicht wie alles weitergeht. Wir hätten sie nur unnötig belastet. Erst als klar war, dass ich ausziehe und dass wir unsere Beziehung als Paar – nicht als Eltern – beenden, sagten wir es ihr. Wir nahmen es uns vor an diesem Tag:

Es war ein wunderschöner Tag im Sommer und wir fuhren (weil Sommerferien waren) ins Waldschwimmbad. Es war herrlich dort und wir schwammen und ich sprang mit meiner Tochter (was ich mich seit meiner Kindheit nicht mehr traute) vom 3-Meter-Brett ins Wasser. Und tauchte wieder auf! Wir hatten Spaß miteinander und als wir zuhause waren, sagte meine Frau: „Komm, lass uns den schönen Tag nicht verderben, wir sagen es heute nicht.“ Und ich sagte: „Gerade weil dies ein schöner Tag ist, werden wir bzw. ich es jetzt sagen“

Ich rief sie aus ihrem Kinderzimmer, sagte, wir müssten mal mit ihr reden. Sie saß im Sessel vor uns, wir Eltern auf der Couch. Und ich erzählte ihr von meinen Gefühlen, dass ich gemerkt habe, dass ich auf Männer stehe. Sie fragte nur: „Heißt das, dass ihr euch trennen werdet?“ Und wir bejahten. Sie lief heulend in ihr Zimmer und es zerriss uns das Herz. Wir gingen ihr nach einer kurzen Weile nach, sprachen miteinander, drückten uns, weinten zusammen.

Aus meiner Sicht, war das Wichtigste, das wir ihr sagen konnten, was nun passiert: Ich nehme mir eine Wohnung in der Nähe, sodass sie jederzeit zu mir kommen kann, sie hat bei mir ein Zimmer, ist an den Wochenenden alle 14 Tage bei mir und unter der Woche einen Tag.

Viel Gewohntes bleibt erst mal. Das ist Wichtig.

Mittlerweile wohnt meine Tochter seit fast 2 Jahren bei mir. Wir kommen gut zurecht und sie besucht ihre Mutter alle 14 Tage 60 km entfernt übers Wochenende. Sie hat entschieden bei mir zu bleiben. Will hier ihre Schule fertig machen, obwohl ich ihr nicht sagen kann, wie lange ich noch hier sein werde, da ich auf Grund meines Schwulseins meinen Beruf wechseln muss.

Ich warte bis heute auf den großen Einbruch, schulischen Misserfolg, psychische „Störungen“.

Stattdessen stelle ich fest, dass sie an Selbstständigkeit und Selbstvertrauen gewonnen hat, offen ist für „anderes“, ehrlich ist und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn entwickelt hat.

Sie musste vieles verstehen, entscheiden, aushalten, was andere in ihrem Alter vielleicht nicht mussten, aber sie wächst daran und ich bin unendlich stolz auf sie!